Verbesserte
Versorgung von Kindern
mit der Diagnose „AD(H)S“:
Selektivvertrag
zwischen AOK Sachsen-Anhalt, KV Sachsen-Anhalt und Dr.
Wolfgang Pilz
Ein
Kind und seine Krankengeschichte
Max
ist 9 Jahre alt. Schon als Baby forderte er von seinen Eltern
viel Kraft, weil er schlecht durchschlief und viel schrie. Im
Kleinkindalter empfanden ihn Eltern und Kindergartenerzieher als
lebhaft und unruhig. Im Kindergarten hatte er viel Streit mit anderen
Kindern und schien immer eine Bezugsperson für sich alleine zu
beanspruchen. Beim Spielen wechselte er von einem Thema zum nächsten
und binnen kürzester Zeit entstand stets viel Unordnung in seinem
Zimmer. Über den daraus entstehenden Erziehungsproblemen und
unendlichen Diskussionen von Vater und Mutter ging letztlich deren
Beziehung auseinander, so dass Max jetzt überwiegend alleine bei der
Mutter lebt.
Die
Kinderärztin äußerte im Alter von 5 Jahren als erste die
Verdachtsdiagnose „ADHS“. Bei der Schuleingangsuntersuchung
empfahl die Amtsärztin eine Vorstellung beim Kinderpsychiater.
Schon
wenige Wochen nach der Einschulung beklagte die Grundschullehrerin,
Max könne nicht stillsitzen, sich nicht konzentrieren, habe dauernd
Konflikte mit den Mitschülern und störe den Unterricht.
Seit
Max 7 Jahre alt ist und nach fachspezifischer Diagnostik, erhält er
regelmäßig konzentrationsfördernde Medikation (Methylphenidat).
Seine Noten sind seither manchmal ein bisschen besser geworden und er
hat den ein oder anderen Freund in der Schule gefunden. Viele sagen,
er sei ruhiger geworden. Aber die endlosen Diskussionen bei allen
alltäglichen Aufforderungen sind geblieben, und mindestens einmal
die Woche gibt es einen Eintrag der Lehrerin im Aufgabenbuch, weil er
Arbeitsmittel vergessen hat, anderen Kindern gegenüber aggressiv
geworden ist oder Unfug angestellt hat.
Bei
der Tabletteneinnahme gibt es täglich Theater. Nicht selten fühlt
sich seine Mutter, Frau A., alleingelassen. Die Kinderärztin
empfiehlt nun eine stationäre kinderpsychiatrische Behandlung. Max
und seine Mutter haben Bedenken, ob dadurch nicht zu viel Schule
ausfällt und Max durch diese Maßnahme von den Gleichaltrigen noch
mehr als bisher abgelehnt wird.
Aber
zwischen der niedrigschwelligen ambulanten Behandlung mit
Medikamenten und dem Klinikaufenthalt scheint es keinen dritten Weg
zu geben. Frau A. hat auch bei mehreren Psychotherapeuten angefragt,
jedoch liegt die Wartezeit für einen Therapieplatz bei mehreren
Monaten.
Die
Versorgungslücke
Zwischen
niederfrequenter ambulanter Versorgung und multimodaler, komplexer
stationärer Versorgung von Kindern mit der Diagnose einer
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung klafft eine
Versorgungslücke.
Dabei
gibt es nachweislich an einem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell
orientierte Einflussmöglichkeiten, die dazu beitragen können,
medikamentöse Behandlungen zu reduzieren oder sogar ganz auf sie zu
verzichten, die schulische Integration zu verbessern und die
familiäre Interaktion zu normalisieren.
Um
dies zu leisten, braucht es ein Angebot, das
einzelpsychotherapeutische Maßnahmen mit psychosozialen
Interventionen vor Ort in Familie und Schule sowie
interaktionsbetonten Ansätze mittels Gruppentherapie kombiniert,
ohne hierfür das Kind aus seinem gewohnten familiären und
schulischen Umfeld herauszunehmen. Mit dieser Kombination gibt es
eine ernsthafte Chance, auf Medikamente zur Beeinflussung des ADHS
verzichten zu können.
Weder
die bisherige fachärztliche, kinderärztliche oder
einzelpsychotherapeutische Behandlung einerseits, noch die klinische
Behandlung andererseits bieten diese Möglichkeiten so an.
Partnerschaft
für einen innovativen Behandlungsansatz
Mit
der AOK als der Krankenkasse, die in Sachsen-Anhalt die höchste Zahl
an Versicherten aufweist, der KV als der Körperschaft, die die
ambulante Versorgung sicherstellt, Dr. Pilz als niedergelassenem Kinderpsychotherapeuten sowie seinen Kooperationspartnern haben sich mehrere Partner
verbündet, um die beschriebene Versorgungslücke schließen zu
helfen.
Durch
Abschluss des hier beschriebenen Selektivvertrages sollen folgende
Ziele in der Behandlung von Kindern mit der Diagnose ADHS verfolgt
werden:
- Reduzierung
medikamentöser Langzeitbehandlung mit Methylphenidat und Atomoxetin
- Vermeidung
kostenintensiver stationärer Behandlungen
- Direkte
Beeinflussung des sozialen Umfeldes durch Besuche der Behandler vor
Ort in Schule und Familie
- Behandlung
von Sozialverhaltensproblemen und Verbesserung der sozialen
Kompetenzen durch Gruppentherapie
- Reduzierung
von Wartezeiten und Gewährleistung eines niedrigschwelligen Zugangs
mit geringem Verwaltungsaufwand
- Wissenschaftliche
Evaluation eines innovativen Behandlungsansatzes
Wer
kann sich einschreiben?
An
dieser Versorgung können Versicherte der AOK im Alter von 6 bis 18
Jahren mit Wohnort in Sachsen-Anhalt teilnehmen, bei denen die
Diagnose „ADHS“ bzw. gemäß ICD 10 eine der Diagnosen F 90.0, F
90.1, F 90.8 oder F 98.8 bereits gestellt wurde und die sich entweder
schon in medikamentöser Behandlung befinden oder bei denen eine
medikamentöse Behandlung empfohlen wurde.
Die
Einschreibung erfolgt im Rahmen der Vorstellung im gemeinsamen Sekretariat der Psychotherapiepraxis Pilz und des MAPP-Instituts,
Klausenerstraße 15, 39112 Magdeburg. Melden Sie sich telefonisch
(dienstags 9-12 Uhr, 0391-5355888) oder per Mail
(wolfgang.pilz@mapp-institut.de)
an und weisen Sie dabei auf Ihr Interesse an der Teilnahme am
Programm hin.
Indikationen
für das Behandlungsprogramm können unter anderem sein:
- Geplante
Reduzierung oder Auslassversuch bei bestehender medikamentöser
Behandlung
- Zunehmende
schulische, soziale oder familiäre Probleme trotz ärztlicher oder
einzelpsychotherapeutischer Behandlung
- Bevorstehende
medikamentöse oder stationär-klinische Behandlung aufgrund
persistierender Probleme, die auf das ADHS zurückzuführen sind.
Die
Indikation wird letztlich im Rahmen der Einschreibung seitens Dr. Pilz überprüft.
Umfang
und Inhalt des Angebots
Die
Teilnahme am Behandlungsprogramm umfasst ein Jahr.
Sie
beinhaltet in Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelfall folgende
Leistungen, die gemäß Bedarf zum Einsatz kommen:
- Sicherstellung
der korrekten Diagnose durch psychodiagnostische Verfahren und
Rücksprache mit dem behandelnden Arzt unter Berücksichtigung
vorliegender Befunde
- Detaillierte
biografische Anamnese
- Sitzungen
zur Prüfung der Diagnose und Indikation - Gruppensitzungen
- Einzelsitzungen
- Familien-
und Angehörigengespräche
- Fortlaufende
Verlaufs-, Kontroll- und Abschlussdiagnostik inklusive
transparente Auswertung
- Abschlussbericht
für den behandelnden Arzt und die Familie - Unterstützungsleistungen
im Setting: Schulhospitationen und Hausbesuche mit Einbindung der
relevanten Bezugspersonen
Alle
an dem Programm mitwirkenden Behandler befinden
sich in regelmäßiger, professioneller Supervision durch den Leiter
des Gesamtprogramms, Dr. Wolfgang Pilz.
Evaluation,
Forschung und Ausblick in die Zukunft
Neuere
Studien (Foster 2007, Schlander et al. 2010) haben eindrücklich
gezeigt, dass ADHS mit erheblichen gesundheitsökonomischen
Langzeitfolgen einhergeht. Kinder, bei denen diese Störung
diagnostiziert wurde, zeigen erhöhte Unfallrisiken. Sie brechen die
Schule häufiger ab und erreichen mit hoher Wahrscheinlichkeit im
späteren Leben niedrigeren Berufsstatus als gesunde Kinder. Nicht
selten neigen sie im Jugendalter zu Drogen- und Alkoholkonsum mit
weiteren Langzeitfolgen, möglicherweise sogar Kriminalität. Hinzu
kommen die hohen Belastungen für die betroffenen Familien, die deren
Lebensqualität einschränkt sowie zu gesundheitlichen Störungen wie
beruflichen Belastungen der Erwachsenen führen können.
Unter
Berücksichtigung der immensen Folgekosten erscheint deshalb ein
rechtzeitiger höherer Aufwand für ambulante Maßnahmen äußerst
gerechtfertigt.
Um
dies deutlicher herauszuarbeiten, wird das hier beschriebene
Behandlungsprogramm wissenschaftlich evaluiert. Die regelmäßig
mittels etablierter, standardisierter psychodiagnostischer Verfahren
erhobenen Daten werden laufend, systematisch und unter Einbezug
externer Stellen ausgewertet sowie interpretiert. Geplant ist
außerdem der Einbezug einer Kontrollgruppe.
Bis
zum Ende des befristeten Projekts sollen die
Ergebnisse publiziert werden.